Lehrarbeit

Die Beurteilung von Grätschen

Schiedsrichter sind unzuverlässig

Das Fernsehen offenbart es: Wenn es um die Beurteilung von Grätschen geht, sind die Akteure einem Glücksspiel ausgesetzt: Eine einheitliche Bewertung seitens der Schiedsrichter ist kaum zu erkennen. Vor allem auf internationaler Ebene bleibt manche »Blutgrätsche« ungeahndet, und ein Abwehrspieler, der sich eindeutig um das Leder bemüht, sieht plötzlich Rot.

Um zu einer angemessenen Gewichtung dieser verletzungsträchtigen Regelverstöße zu kommen, genügt das Studium des recht unpräzisen Regeltextes keineswegs:

Der gegnerischen Mannschaft wird ebenfalls ein direkter Freistoß zugesprochen, wenn ein Spieler beim Tackling im Kampf um den Ball den Gegner vor dem Ball berührt.

Bösartigen Spielern ist es ein leichtes, erst das Leder und dann das Geläuf des Gegners zu treffen ...

Der International Board ergänzte mit seinen Entscheidungen diesen Passus der Regel 12:

Ein Tackling von hinten, welches die Gesundheit des Gegners gefährdet, ist als grobes Foulspiel zu ahnden. 

Was bedeutet »gefährdet«? Muss es dazu überhaupt zu einem Körperkontakt kommen? (gemeint war: Ja). Ist eine Grätsche von vorn oder von der Seite gegen das Schienbein des Gegners nicht auch gefährlich und damit grob unsportlich?

Nachdem die Akteure in den letzten Jahren leidvolle Erfahrungen machten, präzisierte die Fifa den Regeltext: »Von hinten« wurde gestrichen  und  mit der Entscheidung 4 wurde der Regeltext ergänzt: »Jegliches Tackling, das den Gegner verletzt oder hätte verletzen können, muss als grobes Foul mit der Roten Karte geahndet werden.

Damit die Referees zu einer adäquaten Bewertung von Grätschen kommen, ist eine Lehrarbeit erforderlich, die sich von den Plattitüden löst: »Mikroregelkunde« ist gefragt.

Bei Verbands- und Spitzenschiedsrichterlehrgängen im Niedersächsischen Fußballverband trug das nachfolgend geschilderte Lehrverfahren zu einer deutlich einheitlicheren Ausrichtung der Spielleiter bei:

  1. Jeder Teilnehmer benötigt ein Arbeitsblatt, einen Schreibstift sowie eine gelbe und rote Karte.
  2. Vorführung eines Videofilms zum Thema "Grätschen". Aufgabe: Notieren der (gegebenenfalls) erforderlichen persönlichen Strafen.
  3. Jetzt wird es spannend: Aufrufen der Szenen. Durch Zeigen der gelben und roten Karte signalisieren die Teilnehmer ihre im Punkt 1 getroffenen Entscheidungen. Wichtig: Auf Diskrepanzen bei der Beurteilung hinweisen ! (es wird Darstellungen geben, bei denen jeweils 1/3 der Teilnehmer für ROT, GELB oder KEINE persönliche Strafe votieren!)
  4. Beurteilungskriterien für Grätschen erarbeiten (z. B. in Form von Gruppenarbeit) oder – falls die Zeit nicht reicht – vorgeben (Arbeitsblatt 2).
  5. Die Kriterien zuordnen (gruppieren). Diese Aufgabe kann als Einzelarbeit oder mit vorbereiteten Folienplättchen mittels des Tageslichtprojektors  geschehen. (siehe Lösungsblatt 1)
  6. »Gewichten« der Kriterien (Beispiel: Grätsche mit beiden Beinen ist gefährlicher als eine Grätsche mit einem Bein) (Lösungsblatt 2)
  7. Erneute Vorführung der Videoszenen unter Vorgabe der Entscheidungen einer Expertengruppe. Gemeinsam versuchen, die vorgegeben Entscheidungen anhand des Lösungsblattes 2 zu begründen.
  8. Lernzielkontrolle: Vorführung eines weiteren Videofilms zum Thema Grätschen. Unmittelbar nach jeder Szene gleichzeitig die Entscheidungen (durch Heben der Karten) anzeigen lassen. Der Erfolg wird sichtbar sein ...